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Die Geschichte der Pille - Von der Befreiung zur Gefahr
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Mit der Antibabypille konnten Frauen ab den 60ern günstig selbstständig verhüten und freieren Sex haben. Gleichzeitig übernahmen sie das Risiko von Nebenwirkungen. Heute kritisieren immer mehr Menschen die Pille. Von Julia Fritzsche
Credits
Autorin dieser Folge: Julia Fritzsche
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Rahel Comtesse, Christian Baumann
Technik: Monika Gsaenger
Redaktion: Karin Becker
Im Interview:
Prof. Dr. Mandy Mangler, Chefärztin der Klinik für Gynäkologie und Geburtsmedizin im Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum und Vivantes Klinikum Neukölln
Zeitzeugin Elisabeth Osigus
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Frauen ins Rampenlicht! Der Instagramkanal frauen_geschichte versorgt Sie regelmäßig mit spannenden Posts über Frauen, die Geschichte schrieben. Ein Angebot des Bayerischer Rundfunks. EXTERNER LINK | INSTAGRAMKANAL frauen_geschichte
Linktipps:
Der Tagesspiegel-Podcast „Gyncast“ mit Prof. Mandy Mangler HIER
Video über die Nachteile hormoneller Verhütung HIER
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
O-TON 1 Osigus verliebt aber Angst
Ich hab den Mann kennengelernt, den ich geliebt habe, (…) allerdings war da gleich die Angst, dass was passieren könnte, ne, dass man schwanger wird.
SPRECHERIN:
Schwanger werden – das muss sie verhindern. Elisabeth Osigus wird 1932 geboren. Als sie Anfang der 50er Jahre ihren späteren Mann kennenlernt und sie noch nicht verheiratet sind, stellt sich die Frage: wie ein Kind verhindern? Osigus notiert ihren Zyklus im Kalender.
O-TON 2 Osigus Kalender
Und wehe, wenn zwei Tage vorbei waren und die Periode kam nicht, da war die Angst groß.
SPRECHERIN:
Die Angst liegt damals bei vielen heterosexuellen Paaren mit im Bett, vor allem bei den Frauen.
O-TON 3 Mangler permanent schwanger
Da muss man wissen, dass wir heute einen sehr großen Luxus haben, dass wir Verhütung überhaupt haben, weil das über die meiste Zeit der Evolution eben nicht so war und Frauen dadurch eben permanent schwanger waren oder gestillt haben (…) und damit zu tun hatten.
SPRECHERIN:
Permanent schwanger. Mandy Mangler (Nachname dt. ausgesprochen) ist Chefärztin der Klinik für Gynäkologie und Geburtsmedizin im Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum und Vivantes Klinikum Neukölln.
O-TON 4 Mangler
Wenn man sich n bisschen früher in der Evolution das Mittelalter ungefähr anguckt, dann war da eben die Geburtenzahl sehr, sehr hoch, die lag über 10 pro Frau, und das ist schon ne ganze Menge.
SPRECHERIN:
Die ganze fruchtbare Zeit schwanger, also vier oder fünf Jahrzehnte. Natürlich konnten Frauen auf ihren Zyklus achten, aber Verhütungsmittel waren rar.
O-TON 5 Mangler Kondome und Nießen
Kondome oder so (…) hat man auch gemacht, aber nicht so gerne, die wurden früher aus Därmen hergestellt, also Tiergedärme. (…) Kondome hatten immer (…) einen anrüchigen Charakter, Kondome haben Sex-Workerinnen benutzt, deswegen war das stigmatisiert. Und dann hat man alle möglichen Dinge versucht, Vagina-Spülungen oder was in die Vagina reintun und so weiter und sofort. (…) Nießen hat man auch versucht, also da geht es ja darum, das Sperma eben aus der Vagina rauszubringen (…) oder so. Und ja, das hat alles ja nicht so richtig gewirkt.
SPRECHERIN:
Für Elisabeth Osigus und ihren Mann bleibt als Methode nur eins.
O-Ton 6 Osigus vorsehen und aufpassen
Dass er das vorsehen muss, dass nichts passiert. (…) So war das bei uns in der Familie, dass die Männer, jedenfalls bei mir mein Mann, aufpassen sollte, damit es nicht zu Dings kommt.
Undercover investigations red 0‘20
SPRECHERIN:
Bloß nicht „Dings“. Sex und Verhütung sind damals Tuschelthemen. Sexualberatungsstellen gibt es nicht, Eheberatung ist in der Bundesrepublik Sache der Kirchen. Elisabeth Osigus spricht nur mit ihrem Mann darüber, nicht mit Freundinnen.
O-TON 7 Osigus nicht geredet
Ne, ich hab nicht geredet, irgendwie kam mir das nicht so gut vor.
SPRECHERIN:
Das Leben vieler Frauen damals ist von den drei K geprägt: Kinder, Küche, Kirche. Sex ist Privatsache. Die meisten Frauen wissen nur, dass er gefährlich ist.
O-TON 8 Osigus aufgeklärt
Als Mädels im Dorf, wie es halt so ist, da hat die eine mehr gewusst als die anderen, wie was gemacht wird, aber da hieß es nur: Bloß Vorsicht vor den Jungs!
O-TON 9 Mangler lös das Problem
Und (…) zum Beispiel in einer Ehe, das war nicht das Problem des Mannes, wenn die Frau schwanger war, sondern das war ihr Problem. Der Mann hat (…) im Idealfall das Kind mitgroßgezogen, im Zweifel aber mit den Augen gerollt und gesagt: lös das Problem!
SPRECHERIN:
„Lös das Problem“ hieß: illegal abtreiben. Denn seit 1871 galt Paragraph 218 des Strafgesetzbuchs des Deutschen Kaiserreichs: Abtreibung verboten.
O-TON 10 Osigus schwarz abgetrieben
Ja, (…) da kenne ich eine aus der Nachbarschaft, die schwarz abgetrieben hat und danach gestorben ist. (…) Das war typisch. (…) Mit Stricknadeln und was nicht alles und sind dann verblutet.
SPRECHERIN:
Andere Methoden abzutreiben sind damals Chemikalien, giftige Laugen oder Tinkturen. Viele Frauen sterben. Viele kriegen ungewollte Kinder.
Emotional piano 1 0‘30
So auch die Mutter von Margaret Sanger, verfrüht gestorben nach 18 Schwangerschaften. Margaret ist eins von den 12 Kindern, die die ersten Jahre überlebt haben. Als sie in den 20er Jahren als Krankenschwester in einem New Yorker Arbeiterviertel anfängt, erlebt sie viele Frauen, denen es geht wie ihrer Mutter. Das will sie ändern.
O-TON 11 Mangler Sanger
Ja, Margaret Sanger (…) hat sich eben auseinandergesetzt mit, ja, weiblicher Verhütung (…). Und die war dann auch sehr erfolgreich und hat da die Entstehung der Pille gefördert und hat so an den richtigen Strippen gezogen.
Musik: Complex questions 0‘40
SPRECHERIN:
Margaret Sanger beginnt, Frauen in den USA über Verhütung aufzuklären, zum Beispiel über Pumpen, die das Sperma nach dem Sex aus der Vagina spülen sollen. Als sie dafür wegen „Pornografie“ verhaftet werden soll und nach Europa flieht, entdeckt sie das 1915 entwickelte Kunststoff-Diaphragma, eine Kunststoffklappe vor der Gebärmutter, und schafft es, 500 davon in die USA zu schleusen, wird aber dort nach 10 Tagen verhaftet. Ihr Engagement erhält jedoch immer mehr Aufsehen. Die Behörden geben schließlich nach und erlauben Ärzten in den USA, über Methoden der Verhütung aufzuklären. Die Frage bleibt allerdings: Wie richtig praktisch verhüten? Sanger träumt von einem ganz einfachen Verhütungsmittel für Frauen, einer Hormonpille.
Auf einer Dinner-Party fragt sie 1951 den Endokrinologen Gregory Pincus, wie viel Geld er bräuchte, um ein einfaches Mittel zur Verhütung in Form einer Pille zu entwickeln. Er schätzt: 125.000 Dollar.
Erste Ideen dazu gibt es damals schon, erklärt Gynäkologin Mandy Mangler.
O-TON 12 Mangler Entwicklung
So vor 100 Jahren ungefähr, als so die ersten Medikamente es gab, zum Beispiel Antibiotika und so, hat man auch die weiblichen Hormone künstlich herstellen können irgendwann. Und dann hat man sich natürlich gefragt, wie kann ich das jetzt so umsetzen, dass eine Verhütung daraus resultiert.
SPRECHERIN:
Die Idee ist also da, allein es fehlt der Wille, genauer gesagt: das Geld.
Musik: Original research (b) 0‘35
Doch Sanger ist nicht nur entschlossen, sondern auch Strategin.
Sie gewinnt die vermögende Frauenrechtlerin und Biologin Katharine McCormick. Beide haben das Anliegen, die gefährlichen illegalen Abtreibungen zu verhindern. Und McCormick stellt schließlich in den folgenden Jahren zwei Millionen Dollar für die Forschung an der Pille zur Verfügung. Gregory Pincus, der von der Dinner-Party, macht sich zusammen mit dem Chemiker Karl Djerassi an die Arbeit.
O-TON 13 Mangler Vater der Pille
Und dann hat man synthetisch Hormone hergestellt, die dem Körper also vorgaukeln, dass es Hormone gibt und dann eben als Verhütung dienen. Und da gab es mehrere Forscherinnengruppen und die Person, die dann die Pille eben erfunden hat, das war ja Karl Djerassi, der sich selber dann als „Mutter der Pille“ immer benannt hat.
SPRECHERIN:
Diese Forschung hatte leider große ethische Fehler. Die Tests erfolgten nicht in den USA, sondern in Puerto Rico, wo die Behörden Geburtenkontrollen auch aus rassistischen Motiven befürworteten. Die Teilnehmerinnen wurden dürftig über Risiken informiert. Die Tests erfüllten nicht die Anforderungen, die man heute an die Teilnehmerzahl hat. Und: Pincus und sein Team hielten trotz Berichten über Nebenwirkungen das Mittel für sicher und bewerteten die Testreihe wegen der verhütenden Wirkung als Erfolg. Weitere Tests folgten in Haiti und Mexiko.
O-TON 14 Mangler Experimente
In der Entwicklung, ja, natürlich war das ne Zeit, die unrühmlich war und die eben geprägt war von ganz ganz kranken Strukturen, rassistisch und die auch experimentell in den KZs gearbeitet hat, das ist (..) ein unrühmlicher, furchtbarer Teil der Medizingeschichte und der eben viele Medikamente betrifft, aber auch die Pille.
SPRECHERIN:
Dennoch: Am 23. Juni 1957 wird die erste Pille, das von Pincus und Djerassi entwickelte Produkt "Enovid", in den USA zugelassen. Wenige Jahre später, 1961, bringt das Unternehmen Schering in der Bundesrepublik ein vergleichbares Präparat auf den Markt. Zuerst nur auf Rezept als Mittel gegen Menstruationsbeschwerden und nur für verheiratete Frauen, die schon mehrere Kinder haben. Dass das Mittel die Empfängnis verhütet, taucht nur als Nebenwirkung in der Packungsbeilage auf.
ZITATOR:
„Suspension der Ovulation unter Gewährleistung der regulären Monatsblutung.“
SPRECHERIN:
Also: kein Eisprung. Das, worauf Sanger und so viele Frauen gehofft haben.
O-TON 15 Mangler spektakulär
Das war spektakulär, als man das herausgefunden hat, weil das war ebenso einfach wie genial. Und aber auch wirksam. Und ja, das hat man dann schnell verstanden, dass das natürlich die die Menschen befreit von einer Art Geburtenzwang muss man sagen, also von diesem permanenten Schwangersein.
Musik: Behind the curtain 0‘25
SPRECHERIN:
Elisabeth Osigus ist, als die Pille in der Bundesrepublik auf den Markt kommt, 29. Sie hat mit ihrem Mann mittlerweile drei Kinder. Eines Tages kommt er von der Arbeit, in einer Justizvollzugsanstalt, und berichtet von einem Lehrgang.
O-TON 16 Osigus Vortrag
Und da war auch ein Arzt dabei, der ihnen dann erzählt hat, weil da mehrere im Lehrgang waren, die mehrere Kinder hatten und (…) der kam dann zu den Männern, die da weiß ich was von Justiz gelernt haben, aber so nebenbei eben die Pille angeboten bekamen für die Frauen.
SPRECHERIN:
Es kommt vielen damals wie Werbung vor, sagt sie.
O-TON 17 Osigus fromm aber 5 Personen
Ich will mal so sagen, ich bin ein bisschen fromm und da hatte ich ein bisschen Angst gehabt, aber dadurch, dass das durch den Arzt kam, hab ich vertraut. Weil wir waren uns mit meinem Mann einig, wir wollten beide keine Kinder mehr haben.
SPRECHERIN:
Elisabeth Osigus versorgt Kinder und Haushalt, ihr Mann muss allein Geld für fünf Personen erwerben.
O-TON 18 Osigus wollte Arbeiten
Ich hatte als junges Mädchen geheiratet und (…) ich wollte ja auch später wieder zur Arbeit gehen, deswegen wollte ich ja auch die Pille, damit ich nicht wieder was Kleines dahabe und nicht wegkann von zuhause.
SPRECHERIN:
Doch wie kommen die Frauen nun an die Pille? Elisabeth Osigus will ihren Hausarzt fragen.
Musik: Lectio consolamini 0‘27
Vor allem die katholische Kirche lehnt die Pille massiv ab. Papst Paul VI verurteilt 1968 in der Enzyklika "Humanae Vitae" Geburtenkontrolle durch künstliche Verhütungsmittel. Sie würden außerehelichen Sex fördern und eine…
ZITATOR:
"… Aufweichung der sittlichen Zucht"
SPRECHERIN:
Diese sogenannte „Pillen-Enzyklika“ trägt dem Papst den Namen „Pillen-Paul“ ein.
O-TON 19 Mangler Sittenverfall
Entsetzten machte sich breit, als die Pille dann auf den Markt kam. Weil das ist heute auch noch so, das ist total interessant: Der weibliche Körper, der ist politisch, der ist fremdbestimmt, der ist reglementiert, der ist mit Gesetzen überzogen und so weiter und man fürchtete also einen absoluten Sittenverfall durch die Pille und die Kirche fand es ganz schlimm. // Da gab es sogar so Ärzte und Ärztinnen, die einen offenen Brief geschrieben haben und gesagt haben, das geht so nicht und man muss es eigentlich reglementieren und verbieten.
SPRECHERIN:
Die „Ulmer Erklärung“: Darin warnen 1964 rund 200 Ärzte, wenn man den Frauen die Angst vor der Schwangerschaft nähme, würden sie hemmungslos und es fördere…
ZITATOR:
„…den biologischen und charakterlichen Verfall des deutschen Volkes“
SPRECHERIN:
Auch viele Frauen zögern damals in dieser Stimmung. Mitte der 60er sagt fast jede zweite in einer Umfrage des Allensbach-Instituts, die Antibabypille solle in Deutschland nicht erlaubt sein. Elisabeth Osigus möchte die Pille und geht zu ihrem Hausarzt. Er macht ihr Vorwürfe, sie sei selbst schuld, wenn sie schwanger würde.
O-TON 20 Osigus empfänglich
Wär ich denn so empfänglich, dass mein Mann nur die Hose ans Bett hängen braucht, dann würde ich schon schwanger.
SPRECHERIN:
Osigus kriegt die Pille schließlich über einen Gynäkologen.
Auch viele Katholikinnen setzten sich über das päpstliche Verbot hinweg.
ZITATOR:
"Der große Ungehorsam hat begonnen"
SPRECHERIN:
… schrieb "Der Spiegel" über die Reaktionen auf die Enzyklika damals.
O-TON 21 Osigus evangelisch
Ich war evangelisch und mit dem Katholischen das hatte mich nicht interessiert (…). Ich war froh, dass ich sicher war und mein Mann auch und all die Jahre hab ich sie genommen, hab auch kaum einen Tag verpasst.
SPRECHERIN:
Es ist ein Kampf. 1968 setzen die Vereinten Nationen ein Recht auf Familienplanung durch, die Akzeptanz der Pille steigt und immer öfter verschreiben Ärzte sie auch explizit als Verhütungsmittel. In der DDR stellt 1965 der Betrieb Jenapharm eine ähnliche Pille her, die "Wunschkindpille" unter dem Namen "Ovosiston". Ab 1972 wird sie kostenlos an sozialversicherte Frauen ausgegeben.
Musik: Make love not war 0‘40
Im Westen kommt die Pille gerade rechtzeitig zur 1968er Bewegung, Körper und Sexualität werden zum Politikum: „make love not war“, Liebe statt Krieg. Die Pille beschleunigt die sexuelle Befreiung.
SPRECHERIN:
Frauenrechtlerin Alice Schwarzer nennt die Pille einen „Meilenstein in der Geschichte der Emanzipation der Frauen“, erklärt aber auch, dass damit Frauen zur Verfügung zu stehen hätten.
SPRECHERIN:
Trotz Pille bleibt Sexualität männlich dominiert. Die Frauen haben aber immerhin ein Problem weniger: ständig Kinder zu kriegen oder illegal abtreiben zu müssen.
O-TON 24 Osigus viel bedeutet und aktiv
Mir hat sie sehr viel bedeutet, mein Mann war sehr aktiv. Und da hatten wir beide Angst, deswegen war mir die Pille sehr willkommen gewesen.
SPRECHERIN:
Elisabeth Osigus geht, nachdem sie ab Mitte der 60er Jahre die Pille nimmt, nun auch arbeiten, als Putzfrau und später ebenfalls im Justizvollzug. Sie nimmt die Pille, bis ihr Mann 1987 frühzeitig stirbt.
O-TON 25 Mangler Hochphase und Niedergang
Die Hochphase der Pille war lange, also schon von dem Zeitpunkt, als sie auf den Markt kam in den Sechzigern bis über die Zweitausender, ja, bis vor ein paar Jahren.
Musik: Still waiting 0‘26
SPRECHERIN:
In Europa ist sie lange das Verhütungsmittel Nummer eins. Doch global betrachtet kommt an erster Stelle die Sterilisation der Frau, obwohl ein Eingriff bei Männern einfacher wäre, an zweiter Stelle das Kondom, an dritter die Spirale und an vierter die Pille. Die Beliebtheit der Pille wurde schon kurz nach ihrem Aufkommen gedämpft.
O-TON 26 Mangler Nebenwirkungen
Man hat bei den ersten Generationen der Pille schon schnell gemerkt, dass da auch Nebenwirkungen auftreten können, zum Beispiel Thrombose oder eben auch Libidoverlost, sogar Depressionen.
O-TON 27 Osigus vertragen
Als ich dann bei der Arbeit war, haben manche erzählt, dass sie sie nicht vertragen haben (…)(…) Die hatten Erbrechen (…) , ihnen schmeckte kein Essen.
SPRECHERIN:
Gerade der Libidoverlust, den ein Teil der Frauen hat, wirft Fragen auf.
O-TON 28 Mangler Libidoverlust
(…) Weil das bedeutet ja eigentlich nur, ich nehme ein Medikament, um dann Sex zu haben, der mir aber nicht Spaß macht. (…) Also, wenn man das richtig zu Ende denkt, dann wird es unangenehm.
SPRECHERIN:
Laut Mandy Mangler hat es weitere Gründe, dass die Pille seit etwa den Nuller Jahren an Bedeutung verliert.
O-TON 29 Mangler Hochphase und Niedergang (Pille für Mann)
Ein Punkt, warum das mit der Pille kritisch war, war auch, dass es zum Beispiel die Pille für den Mann gibt. Die funktioniert ähnlich wie die Pille für die Frau, aber sie wurde nicht auf den Markt gebracht. (…) Und zwar mit dem Argument, die Nebenwirkungen sind zu hoch. Und die Nebenwirkungen, die sind sehr, sehr ähnlich wie die Nebenwirkungen der weiblichen Pille, noch nicht mal so doll, sondern weniger doll. Und wenn man das zu Ende denkt, dann ist das natürlich entrüstend aus der Perspektive von Frauen. Und das ist ein Punkt, warum die Pille vom Erfolgskurs bisschen abgekommen ist.
Musik: Take off 0‘25
SPRECHERIN:
Hormonelle Verhütung sähen viele Menschen zunehmend kritisch, so die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. 2023 wurde die Pille als Verhütungsmittel Nummer 1 in Deutschland deshalb vom Kondom abgelöst.
SPRECHERIN
Vor allem der Vergleich mit der Pille für den Mann lässt viele nachdenken: Warum sollen Frauen etwas nehmen, was Männern zu heikel ist?
O-TON 30 Mangler Pille für Mann und Profit
Da hat auch die WHO eine unrühmliche Rolle, weil sie eben dafür gesorgt hat, dass die Studien eingestellt werden. Und da kann man eigentlich, wenn man es richtig abstrahiert, nur sagen: Wir leben eben im Patriarchat, das tun wir, und (…) männliche Verhütung wird als was Suspektes, auch Männlichkeitsbedrohendes zum Teil angesehen. Und das ist schade, weil es gibt natürlich viele, viele Männer, die sehr gerne selbstbestimmt verhüten würden. // Die Entwicklung der männlichen Pille stockt, weil es da überhaupt gar keine gute Unterstützung von Pharmaindustrie oder insgesamt dem Forschungsmarkt gibt. Die Pille für die Frau, die verkauft sich eben immer noch gut, sie hat eine sehr, sehr starke Lobby. Und da ist natürlich die Frage, was geht dabei kaputt, wenn wir die Pille für den Mann auf den Markt bringen.
SPRECHERIN
Und so verhüten hormonell eben weiterhin nur Frauen. Die Forschung an der Pille und ihren Nebenwirkungen müsse deswegen weitergehen, so Gynäkologin Mangler. Vor allem auch, weil viele Pillen eine unnötige Blutung hervorrufen.
O-TON 31 Mangler Pseudoblutung
Also, man nimmt die Pille ein drei Wochen und dann nimmt man sie nicht ein eine Woche und in dieser Zeit blutet man. In manchen Pillen sind da auch so Placebo, dass man in dieser Woche trotzdem eine Pille nimmt. Und das ist eigentlich, hat man jetzt in Studien herausgefunden, unnötig ja diese Pillenpause und diese Blutung. Weil das ist auch gar keine Menstruation, sondern das ist so ne Pseudoblutung. Und man hat es aber damals so gemacht, wahrscheinlich weil man eben auch, ja, die religiösen Bedenken und die Bedenken der Kirche so aushebeln wollte, (…) also man wollte eben diesen natürlichen Zyklus nachahmen.
Musik: Nocturnal research 0‘55
SPRECHERIN
Trotz Kritik und Verbesserungsbedarf wäre es für viele Frauen wichtig, leichter an die Pille zu kommen. Manche haben gar nicht die Wahl. Geschätzt 200 Millionen Frauen weltweit haben laut Vereinten Nationen keinen Zugang zu modernen Verhütungsmitteln. In den USA können Arbeitgeber nach einem Urteil des Obersten Gerichts aus religiösen Gründen ausschließen, dass die Krankenversicherung ihrer Angestellten die Kosten für Verhütungsmittel übernimmt. Und in Deutschland bezahlen die Krankenkassen die Pille zwar für Frauen unter 22 Jahren, für viele Sozialhilfe-Bezieherinnen sind Verhütungsmittel aber zu teuer, so die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, vor allem für Geringverdienerinnen, BaföG-Bezieherinnen und HatzIV-Bezieherinnen.
O-TON 32 Mangler Fazit
Wenn man jetzt die Pille hart feministisch betrachten möchte, dann, ja dann gibt es 2 Seiten. Einmal ist es natürlich toll, selbstbestimmt (…) Schwangerschaften also zuverlässig zu vermeiden. Auf der anderen Seite ist es aber so, dass wir Frauen (…) die ganze Last der Verhütung zum Beispiel mit der Pille auf unseren Schultern tragen (…) also körperliche Beschwerden, finanziell, die Organisation, die Planung, irgendwie das darüber nachdenken usw. Deswegen also feministisch müsste man dann sagen, wir fordern, dass die Pille weiterentwickelt wird oder die Pille ist eben nicht geschlechtergerecht.
Musik: New shores (redeced) 0‘25
SPRECHERIN:
Für Elisabeth Osigus hat die Pille das Leben erleichtert.
O-TON 33 Osigus dankbar
Ich kann nur sagen, dass ich dankbar bin dem, der die Pille erfunden hat, der so vielen Frauen geholfen hat, und ich kann nur bedauern die Frauen, denen sie nichts genützt hat.
2568 episódios
Manage episode 449684476 series 2459771
Mit der Antibabypille konnten Frauen ab den 60ern günstig selbstständig verhüten und freieren Sex haben. Gleichzeitig übernahmen sie das Risiko von Nebenwirkungen. Heute kritisieren immer mehr Menschen die Pille. Von Julia Fritzsche
Credits
Autorin dieser Folge: Julia Fritzsche
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Rahel Comtesse, Christian Baumann
Technik: Monika Gsaenger
Redaktion: Karin Becker
Im Interview:
Prof. Dr. Mandy Mangler, Chefärztin der Klinik für Gynäkologie und Geburtsmedizin im Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum und Vivantes Klinikum Neukölln
Zeitzeugin Elisabeth Osigus
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
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O-TON 1 Osigus verliebt aber Angst
Ich hab den Mann kennengelernt, den ich geliebt habe, (…) allerdings war da gleich die Angst, dass was passieren könnte, ne, dass man schwanger wird.
SPRECHERIN:
Schwanger werden – das muss sie verhindern. Elisabeth Osigus wird 1932 geboren. Als sie Anfang der 50er Jahre ihren späteren Mann kennenlernt und sie noch nicht verheiratet sind, stellt sich die Frage: wie ein Kind verhindern? Osigus notiert ihren Zyklus im Kalender.
O-TON 2 Osigus Kalender
Und wehe, wenn zwei Tage vorbei waren und die Periode kam nicht, da war die Angst groß.
SPRECHERIN:
Die Angst liegt damals bei vielen heterosexuellen Paaren mit im Bett, vor allem bei den Frauen.
O-TON 3 Mangler permanent schwanger
Da muss man wissen, dass wir heute einen sehr großen Luxus haben, dass wir Verhütung überhaupt haben, weil das über die meiste Zeit der Evolution eben nicht so war und Frauen dadurch eben permanent schwanger waren oder gestillt haben (…) und damit zu tun hatten.
SPRECHERIN:
Permanent schwanger. Mandy Mangler (Nachname dt. ausgesprochen) ist Chefärztin der Klinik für Gynäkologie und Geburtsmedizin im Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum und Vivantes Klinikum Neukölln.
O-TON 4 Mangler
Wenn man sich n bisschen früher in der Evolution das Mittelalter ungefähr anguckt, dann war da eben die Geburtenzahl sehr, sehr hoch, die lag über 10 pro Frau, und das ist schon ne ganze Menge.
SPRECHERIN:
Die ganze fruchtbare Zeit schwanger, also vier oder fünf Jahrzehnte. Natürlich konnten Frauen auf ihren Zyklus achten, aber Verhütungsmittel waren rar.
O-TON 5 Mangler Kondome und Nießen
Kondome oder so (…) hat man auch gemacht, aber nicht so gerne, die wurden früher aus Därmen hergestellt, also Tiergedärme. (…) Kondome hatten immer (…) einen anrüchigen Charakter, Kondome haben Sex-Workerinnen benutzt, deswegen war das stigmatisiert. Und dann hat man alle möglichen Dinge versucht, Vagina-Spülungen oder was in die Vagina reintun und so weiter und sofort. (…) Nießen hat man auch versucht, also da geht es ja darum, das Sperma eben aus der Vagina rauszubringen (…) oder so. Und ja, das hat alles ja nicht so richtig gewirkt.
SPRECHERIN:
Für Elisabeth Osigus und ihren Mann bleibt als Methode nur eins.
O-Ton 6 Osigus vorsehen und aufpassen
Dass er das vorsehen muss, dass nichts passiert. (…) So war das bei uns in der Familie, dass die Männer, jedenfalls bei mir mein Mann, aufpassen sollte, damit es nicht zu Dings kommt.
Undercover investigations red 0‘20
SPRECHERIN:
Bloß nicht „Dings“. Sex und Verhütung sind damals Tuschelthemen. Sexualberatungsstellen gibt es nicht, Eheberatung ist in der Bundesrepublik Sache der Kirchen. Elisabeth Osigus spricht nur mit ihrem Mann darüber, nicht mit Freundinnen.
O-TON 7 Osigus nicht geredet
Ne, ich hab nicht geredet, irgendwie kam mir das nicht so gut vor.
SPRECHERIN:
Das Leben vieler Frauen damals ist von den drei K geprägt: Kinder, Küche, Kirche. Sex ist Privatsache. Die meisten Frauen wissen nur, dass er gefährlich ist.
O-TON 8 Osigus aufgeklärt
Als Mädels im Dorf, wie es halt so ist, da hat die eine mehr gewusst als die anderen, wie was gemacht wird, aber da hieß es nur: Bloß Vorsicht vor den Jungs!
O-TON 9 Mangler lös das Problem
Und (…) zum Beispiel in einer Ehe, das war nicht das Problem des Mannes, wenn die Frau schwanger war, sondern das war ihr Problem. Der Mann hat (…) im Idealfall das Kind mitgroßgezogen, im Zweifel aber mit den Augen gerollt und gesagt: lös das Problem!
SPRECHERIN:
„Lös das Problem“ hieß: illegal abtreiben. Denn seit 1871 galt Paragraph 218 des Strafgesetzbuchs des Deutschen Kaiserreichs: Abtreibung verboten.
O-TON 10 Osigus schwarz abgetrieben
Ja, (…) da kenne ich eine aus der Nachbarschaft, die schwarz abgetrieben hat und danach gestorben ist. (…) Das war typisch. (…) Mit Stricknadeln und was nicht alles und sind dann verblutet.
SPRECHERIN:
Andere Methoden abzutreiben sind damals Chemikalien, giftige Laugen oder Tinkturen. Viele Frauen sterben. Viele kriegen ungewollte Kinder.
Emotional piano 1 0‘30
So auch die Mutter von Margaret Sanger, verfrüht gestorben nach 18 Schwangerschaften. Margaret ist eins von den 12 Kindern, die die ersten Jahre überlebt haben. Als sie in den 20er Jahren als Krankenschwester in einem New Yorker Arbeiterviertel anfängt, erlebt sie viele Frauen, denen es geht wie ihrer Mutter. Das will sie ändern.
O-TON 11 Mangler Sanger
Ja, Margaret Sanger (…) hat sich eben auseinandergesetzt mit, ja, weiblicher Verhütung (…). Und die war dann auch sehr erfolgreich und hat da die Entstehung der Pille gefördert und hat so an den richtigen Strippen gezogen.
Musik: Complex questions 0‘40
SPRECHERIN:
Margaret Sanger beginnt, Frauen in den USA über Verhütung aufzuklären, zum Beispiel über Pumpen, die das Sperma nach dem Sex aus der Vagina spülen sollen. Als sie dafür wegen „Pornografie“ verhaftet werden soll und nach Europa flieht, entdeckt sie das 1915 entwickelte Kunststoff-Diaphragma, eine Kunststoffklappe vor der Gebärmutter, und schafft es, 500 davon in die USA zu schleusen, wird aber dort nach 10 Tagen verhaftet. Ihr Engagement erhält jedoch immer mehr Aufsehen. Die Behörden geben schließlich nach und erlauben Ärzten in den USA, über Methoden der Verhütung aufzuklären. Die Frage bleibt allerdings: Wie richtig praktisch verhüten? Sanger träumt von einem ganz einfachen Verhütungsmittel für Frauen, einer Hormonpille.
Auf einer Dinner-Party fragt sie 1951 den Endokrinologen Gregory Pincus, wie viel Geld er bräuchte, um ein einfaches Mittel zur Verhütung in Form einer Pille zu entwickeln. Er schätzt: 125.000 Dollar.
Erste Ideen dazu gibt es damals schon, erklärt Gynäkologin Mandy Mangler.
O-TON 12 Mangler Entwicklung
So vor 100 Jahren ungefähr, als so die ersten Medikamente es gab, zum Beispiel Antibiotika und so, hat man auch die weiblichen Hormone künstlich herstellen können irgendwann. Und dann hat man sich natürlich gefragt, wie kann ich das jetzt so umsetzen, dass eine Verhütung daraus resultiert.
SPRECHERIN:
Die Idee ist also da, allein es fehlt der Wille, genauer gesagt: das Geld.
Musik: Original research (b) 0‘35
Doch Sanger ist nicht nur entschlossen, sondern auch Strategin.
Sie gewinnt die vermögende Frauenrechtlerin und Biologin Katharine McCormick. Beide haben das Anliegen, die gefährlichen illegalen Abtreibungen zu verhindern. Und McCormick stellt schließlich in den folgenden Jahren zwei Millionen Dollar für die Forschung an der Pille zur Verfügung. Gregory Pincus, der von der Dinner-Party, macht sich zusammen mit dem Chemiker Karl Djerassi an die Arbeit.
O-TON 13 Mangler Vater der Pille
Und dann hat man synthetisch Hormone hergestellt, die dem Körper also vorgaukeln, dass es Hormone gibt und dann eben als Verhütung dienen. Und da gab es mehrere Forscherinnengruppen und die Person, die dann die Pille eben erfunden hat, das war ja Karl Djerassi, der sich selber dann als „Mutter der Pille“ immer benannt hat.
SPRECHERIN:
Diese Forschung hatte leider große ethische Fehler. Die Tests erfolgten nicht in den USA, sondern in Puerto Rico, wo die Behörden Geburtenkontrollen auch aus rassistischen Motiven befürworteten. Die Teilnehmerinnen wurden dürftig über Risiken informiert. Die Tests erfüllten nicht die Anforderungen, die man heute an die Teilnehmerzahl hat. Und: Pincus und sein Team hielten trotz Berichten über Nebenwirkungen das Mittel für sicher und bewerteten die Testreihe wegen der verhütenden Wirkung als Erfolg. Weitere Tests folgten in Haiti und Mexiko.
O-TON 14 Mangler Experimente
In der Entwicklung, ja, natürlich war das ne Zeit, die unrühmlich war und die eben geprägt war von ganz ganz kranken Strukturen, rassistisch und die auch experimentell in den KZs gearbeitet hat, das ist (..) ein unrühmlicher, furchtbarer Teil der Medizingeschichte und der eben viele Medikamente betrifft, aber auch die Pille.
SPRECHERIN:
Dennoch: Am 23. Juni 1957 wird die erste Pille, das von Pincus und Djerassi entwickelte Produkt "Enovid", in den USA zugelassen. Wenige Jahre später, 1961, bringt das Unternehmen Schering in der Bundesrepublik ein vergleichbares Präparat auf den Markt. Zuerst nur auf Rezept als Mittel gegen Menstruationsbeschwerden und nur für verheiratete Frauen, die schon mehrere Kinder haben. Dass das Mittel die Empfängnis verhütet, taucht nur als Nebenwirkung in der Packungsbeilage auf.
ZITATOR:
„Suspension der Ovulation unter Gewährleistung der regulären Monatsblutung.“
SPRECHERIN:
Also: kein Eisprung. Das, worauf Sanger und so viele Frauen gehofft haben.
O-TON 15 Mangler spektakulär
Das war spektakulär, als man das herausgefunden hat, weil das war ebenso einfach wie genial. Und aber auch wirksam. Und ja, das hat man dann schnell verstanden, dass das natürlich die die Menschen befreit von einer Art Geburtenzwang muss man sagen, also von diesem permanenten Schwangersein.
Musik: Behind the curtain 0‘25
SPRECHERIN:
Elisabeth Osigus ist, als die Pille in der Bundesrepublik auf den Markt kommt, 29. Sie hat mit ihrem Mann mittlerweile drei Kinder. Eines Tages kommt er von der Arbeit, in einer Justizvollzugsanstalt, und berichtet von einem Lehrgang.
O-TON 16 Osigus Vortrag
Und da war auch ein Arzt dabei, der ihnen dann erzählt hat, weil da mehrere im Lehrgang waren, die mehrere Kinder hatten und (…) der kam dann zu den Männern, die da weiß ich was von Justiz gelernt haben, aber so nebenbei eben die Pille angeboten bekamen für die Frauen.
SPRECHERIN:
Es kommt vielen damals wie Werbung vor, sagt sie.
O-TON 17 Osigus fromm aber 5 Personen
Ich will mal so sagen, ich bin ein bisschen fromm und da hatte ich ein bisschen Angst gehabt, aber dadurch, dass das durch den Arzt kam, hab ich vertraut. Weil wir waren uns mit meinem Mann einig, wir wollten beide keine Kinder mehr haben.
SPRECHERIN:
Elisabeth Osigus versorgt Kinder und Haushalt, ihr Mann muss allein Geld für fünf Personen erwerben.
O-TON 18 Osigus wollte Arbeiten
Ich hatte als junges Mädchen geheiratet und (…) ich wollte ja auch später wieder zur Arbeit gehen, deswegen wollte ich ja auch die Pille, damit ich nicht wieder was Kleines dahabe und nicht wegkann von zuhause.
SPRECHERIN:
Doch wie kommen die Frauen nun an die Pille? Elisabeth Osigus will ihren Hausarzt fragen.
Musik: Lectio consolamini 0‘27
Vor allem die katholische Kirche lehnt die Pille massiv ab. Papst Paul VI verurteilt 1968 in der Enzyklika "Humanae Vitae" Geburtenkontrolle durch künstliche Verhütungsmittel. Sie würden außerehelichen Sex fördern und eine…
ZITATOR:
"… Aufweichung der sittlichen Zucht"
SPRECHERIN:
Diese sogenannte „Pillen-Enzyklika“ trägt dem Papst den Namen „Pillen-Paul“ ein.
O-TON 19 Mangler Sittenverfall
Entsetzten machte sich breit, als die Pille dann auf den Markt kam. Weil das ist heute auch noch so, das ist total interessant: Der weibliche Körper, der ist politisch, der ist fremdbestimmt, der ist reglementiert, der ist mit Gesetzen überzogen und so weiter und man fürchtete also einen absoluten Sittenverfall durch die Pille und die Kirche fand es ganz schlimm. // Da gab es sogar so Ärzte und Ärztinnen, die einen offenen Brief geschrieben haben und gesagt haben, das geht so nicht und man muss es eigentlich reglementieren und verbieten.
SPRECHERIN:
Die „Ulmer Erklärung“: Darin warnen 1964 rund 200 Ärzte, wenn man den Frauen die Angst vor der Schwangerschaft nähme, würden sie hemmungslos und es fördere…
ZITATOR:
„…den biologischen und charakterlichen Verfall des deutschen Volkes“
SPRECHERIN:
Auch viele Frauen zögern damals in dieser Stimmung. Mitte der 60er sagt fast jede zweite in einer Umfrage des Allensbach-Instituts, die Antibabypille solle in Deutschland nicht erlaubt sein. Elisabeth Osigus möchte die Pille und geht zu ihrem Hausarzt. Er macht ihr Vorwürfe, sie sei selbst schuld, wenn sie schwanger würde.
O-TON 20 Osigus empfänglich
Wär ich denn so empfänglich, dass mein Mann nur die Hose ans Bett hängen braucht, dann würde ich schon schwanger.
SPRECHERIN:
Osigus kriegt die Pille schließlich über einen Gynäkologen.
Auch viele Katholikinnen setzten sich über das päpstliche Verbot hinweg.
ZITATOR:
"Der große Ungehorsam hat begonnen"
SPRECHERIN:
… schrieb "Der Spiegel" über die Reaktionen auf die Enzyklika damals.
O-TON 21 Osigus evangelisch
Ich war evangelisch und mit dem Katholischen das hatte mich nicht interessiert (…). Ich war froh, dass ich sicher war und mein Mann auch und all die Jahre hab ich sie genommen, hab auch kaum einen Tag verpasst.
SPRECHERIN:
Es ist ein Kampf. 1968 setzen die Vereinten Nationen ein Recht auf Familienplanung durch, die Akzeptanz der Pille steigt und immer öfter verschreiben Ärzte sie auch explizit als Verhütungsmittel. In der DDR stellt 1965 der Betrieb Jenapharm eine ähnliche Pille her, die "Wunschkindpille" unter dem Namen "Ovosiston". Ab 1972 wird sie kostenlos an sozialversicherte Frauen ausgegeben.
Musik: Make love not war 0‘40
Im Westen kommt die Pille gerade rechtzeitig zur 1968er Bewegung, Körper und Sexualität werden zum Politikum: „make love not war“, Liebe statt Krieg. Die Pille beschleunigt die sexuelle Befreiung.
SPRECHERIN:
Frauenrechtlerin Alice Schwarzer nennt die Pille einen „Meilenstein in der Geschichte der Emanzipation der Frauen“, erklärt aber auch, dass damit Frauen zur Verfügung zu stehen hätten.
SPRECHERIN:
Trotz Pille bleibt Sexualität männlich dominiert. Die Frauen haben aber immerhin ein Problem weniger: ständig Kinder zu kriegen oder illegal abtreiben zu müssen.
O-TON 24 Osigus viel bedeutet und aktiv
Mir hat sie sehr viel bedeutet, mein Mann war sehr aktiv. Und da hatten wir beide Angst, deswegen war mir die Pille sehr willkommen gewesen.
SPRECHERIN:
Elisabeth Osigus geht, nachdem sie ab Mitte der 60er Jahre die Pille nimmt, nun auch arbeiten, als Putzfrau und später ebenfalls im Justizvollzug. Sie nimmt die Pille, bis ihr Mann 1987 frühzeitig stirbt.
O-TON 25 Mangler Hochphase und Niedergang
Die Hochphase der Pille war lange, also schon von dem Zeitpunkt, als sie auf den Markt kam in den Sechzigern bis über die Zweitausender, ja, bis vor ein paar Jahren.
Musik: Still waiting 0‘26
SPRECHERIN:
In Europa ist sie lange das Verhütungsmittel Nummer eins. Doch global betrachtet kommt an erster Stelle die Sterilisation der Frau, obwohl ein Eingriff bei Männern einfacher wäre, an zweiter Stelle das Kondom, an dritter die Spirale und an vierter die Pille. Die Beliebtheit der Pille wurde schon kurz nach ihrem Aufkommen gedämpft.
O-TON 26 Mangler Nebenwirkungen
Man hat bei den ersten Generationen der Pille schon schnell gemerkt, dass da auch Nebenwirkungen auftreten können, zum Beispiel Thrombose oder eben auch Libidoverlost, sogar Depressionen.
O-TON 27 Osigus vertragen
Als ich dann bei der Arbeit war, haben manche erzählt, dass sie sie nicht vertragen haben (…)(…) Die hatten Erbrechen (…) , ihnen schmeckte kein Essen.
SPRECHERIN:
Gerade der Libidoverlust, den ein Teil der Frauen hat, wirft Fragen auf.
O-TON 28 Mangler Libidoverlust
(…) Weil das bedeutet ja eigentlich nur, ich nehme ein Medikament, um dann Sex zu haben, der mir aber nicht Spaß macht. (…) Also, wenn man das richtig zu Ende denkt, dann wird es unangenehm.
SPRECHERIN:
Laut Mandy Mangler hat es weitere Gründe, dass die Pille seit etwa den Nuller Jahren an Bedeutung verliert.
O-TON 29 Mangler Hochphase und Niedergang (Pille für Mann)
Ein Punkt, warum das mit der Pille kritisch war, war auch, dass es zum Beispiel die Pille für den Mann gibt. Die funktioniert ähnlich wie die Pille für die Frau, aber sie wurde nicht auf den Markt gebracht. (…) Und zwar mit dem Argument, die Nebenwirkungen sind zu hoch. Und die Nebenwirkungen, die sind sehr, sehr ähnlich wie die Nebenwirkungen der weiblichen Pille, noch nicht mal so doll, sondern weniger doll. Und wenn man das zu Ende denkt, dann ist das natürlich entrüstend aus der Perspektive von Frauen. Und das ist ein Punkt, warum die Pille vom Erfolgskurs bisschen abgekommen ist.
Musik: Take off 0‘25
SPRECHERIN:
Hormonelle Verhütung sähen viele Menschen zunehmend kritisch, so die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. 2023 wurde die Pille als Verhütungsmittel Nummer 1 in Deutschland deshalb vom Kondom abgelöst.
SPRECHERIN
Vor allem der Vergleich mit der Pille für den Mann lässt viele nachdenken: Warum sollen Frauen etwas nehmen, was Männern zu heikel ist?
O-TON 30 Mangler Pille für Mann und Profit
Da hat auch die WHO eine unrühmliche Rolle, weil sie eben dafür gesorgt hat, dass die Studien eingestellt werden. Und da kann man eigentlich, wenn man es richtig abstrahiert, nur sagen: Wir leben eben im Patriarchat, das tun wir, und (…) männliche Verhütung wird als was Suspektes, auch Männlichkeitsbedrohendes zum Teil angesehen. Und das ist schade, weil es gibt natürlich viele, viele Männer, die sehr gerne selbstbestimmt verhüten würden. // Die Entwicklung der männlichen Pille stockt, weil es da überhaupt gar keine gute Unterstützung von Pharmaindustrie oder insgesamt dem Forschungsmarkt gibt. Die Pille für die Frau, die verkauft sich eben immer noch gut, sie hat eine sehr, sehr starke Lobby. Und da ist natürlich die Frage, was geht dabei kaputt, wenn wir die Pille für den Mann auf den Markt bringen.
SPRECHERIN
Und so verhüten hormonell eben weiterhin nur Frauen. Die Forschung an der Pille und ihren Nebenwirkungen müsse deswegen weitergehen, so Gynäkologin Mangler. Vor allem auch, weil viele Pillen eine unnötige Blutung hervorrufen.
O-TON 31 Mangler Pseudoblutung
Also, man nimmt die Pille ein drei Wochen und dann nimmt man sie nicht ein eine Woche und in dieser Zeit blutet man. In manchen Pillen sind da auch so Placebo, dass man in dieser Woche trotzdem eine Pille nimmt. Und das ist eigentlich, hat man jetzt in Studien herausgefunden, unnötig ja diese Pillenpause und diese Blutung. Weil das ist auch gar keine Menstruation, sondern das ist so ne Pseudoblutung. Und man hat es aber damals so gemacht, wahrscheinlich weil man eben auch, ja, die religiösen Bedenken und die Bedenken der Kirche so aushebeln wollte, (…) also man wollte eben diesen natürlichen Zyklus nachahmen.
Musik: Nocturnal research 0‘55
SPRECHERIN
Trotz Kritik und Verbesserungsbedarf wäre es für viele Frauen wichtig, leichter an die Pille zu kommen. Manche haben gar nicht die Wahl. Geschätzt 200 Millionen Frauen weltweit haben laut Vereinten Nationen keinen Zugang zu modernen Verhütungsmitteln. In den USA können Arbeitgeber nach einem Urteil des Obersten Gerichts aus religiösen Gründen ausschließen, dass die Krankenversicherung ihrer Angestellten die Kosten für Verhütungsmittel übernimmt. Und in Deutschland bezahlen die Krankenkassen die Pille zwar für Frauen unter 22 Jahren, für viele Sozialhilfe-Bezieherinnen sind Verhütungsmittel aber zu teuer, so die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, vor allem für Geringverdienerinnen, BaföG-Bezieherinnen und HatzIV-Bezieherinnen.
O-TON 32 Mangler Fazit
Wenn man jetzt die Pille hart feministisch betrachten möchte, dann, ja dann gibt es 2 Seiten. Einmal ist es natürlich toll, selbstbestimmt (…) Schwangerschaften also zuverlässig zu vermeiden. Auf der anderen Seite ist es aber so, dass wir Frauen (…) die ganze Last der Verhütung zum Beispiel mit der Pille auf unseren Schultern tragen (…) also körperliche Beschwerden, finanziell, die Organisation, die Planung, irgendwie das darüber nachdenken usw. Deswegen also feministisch müsste man dann sagen, wir fordern, dass die Pille weiterentwickelt wird oder die Pille ist eben nicht geschlechtergerecht.
Musik: New shores (redeced) 0‘25
SPRECHERIN:
Für Elisabeth Osigus hat die Pille das Leben erleichtert.
O-TON 33 Osigus dankbar
Ich kann nur sagen, dass ich dankbar bin dem, der die Pille erfunden hat, der so vielen Frauen geholfen hat, und ich kann nur bedauern die Frauen, denen sie nichts genützt hat.
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